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Strukturbildung in planaren Gleichspannungs-GasentladungssystemenÜbersichtDiese Seite informiert über die in der Arbeitsgruppe Purwins durchgeführten Untersuchungen zum Thema "Strukturbildung in planaren Gleichspannungs-Gasentladungssystemen". Folgende zentrale Punkte werden behandelt:
Warum Strukturbildung in planaren Gasentladungssystemen ?In der aktuellen Forschung ist das Verständnis der Entstehung komplexer Strukturen von zentralem Interesse und wird als eines der wichtigsten Forschungsthemen für die nächsten Jahre angesehen (vgl. auch Forschungsperspektiven der MPG). Um die Universalität komplexer Prozesse in der Natur zu verstehen, ist es nötig, physikalische Systeme zu finden, die einerseits eine ausgeprägte Tendenz zu verschiedenen Strukturbildungsprozessen aufweisen, andererseits aber theoretisch und experimentell gut beherrscht werden können. Solche Systeme sind elektrische Transportsysteme, die sowohl in zahlreichen Beispielen in der Natur beobachtet werden können (Blitze, Plasmen) als auch in der Technik zahlreiche relevanten Andendungen finden (Entladungsröhren, Plasmaätzen, TFT-Monitore). Während die seit dem 19. Jahrhundert bekannten klassischen longitudinalen Gasentladungssysteme lange zylindrische Röhren darstellen, werden in der Arbeitsgruppe planare Gasentladungssysteme mit hochohmiger Barriere untersucht (Abb. 1). Das System unterscheidet sich von den bekannten longitudinalen Gasentladungssystemen durch ein geringes Aspektverhältnis und die Verwendung einer hochohmigen Halbleiter-Elektrode. Wird an den Elektroden eine genügend hohe Spannung angelegt, bilden sich räumlich und zeitlich inhomogene Muster aus (s.u.). Die wesentliche Strukturbildung findet dabei in lateraler Richtung statt wie in langen Röhren in Entladungsrichtung statt. Abb. 1: Planares Gasentladungssystem mit hochohmiger Barriere (Schema) Die Vielfalt der zu beobachtenden Strukturen ist in planaren Gasentladungssystemen um ein Vielfaches größer als in longitudinalen Systemen. Die durchgeführten Untersuchungen führen sowohl zu allgemeinen Aussagen über strukturbildende Systeme und universelle Mechanismen der Strukturbildung als auch zu wichtigen Erkenntnissen über die Natur elektrischer Transportsysteme, für die bis heute keine einheitliche Theorie existiert. Bei den verwendeten Entladungsabständen im Sub-Millimeter-Bereich stellt sich die Frage, ob die klassischen Beschreibungsweisen, z.B. in Drift-Diffusions-Modellen, noch gültig sind. Anspruchsvolle theoretische Modelle werden benötigt, um verschiedene dynamische Phänomene von sehr schnellen bis zu langsamen Zeitskalen zu beschreiben und zu verstehen. Unterstützend dazu findet eine numerische Simulation der dynamischen Gleichungen auf leistungsfähigen Rechnern statt. Zurück zum Anfang Zur zweiten Seite Beobachtete Strukturen
Abb. 2: Beispiele für experimentell beobachtete Strukturen Das untersuchte System zeichnet sich durch eine große Vielfalt von Strukturen aus, die in der Leuchtdichteverteilung der Gasentladung beobachteten können. Von der Leuchtdichteverteilung kann auf die mikroskopische Stromdichteverteilung im Gas zurückgeschlossen werden, da diese proportional zur emittierten Leuchtdichteintensität ist. Abb. 2 zeigt eine Auswahl der Vielzahl von Strukturen, die im Experiment beobachtet werden. So findet man Streifenstrukturen (2.a), Target-Muster (2.d), Spiralen (2.c), Labyrinth-Muster (2.d) und hexagonale Anordnungen (2.e). Besonders interessant sind helle Spot-Muster (2.f), bei denen es sich um lokalisierte Stromfilamente handelt. Sie weisen sind sehr robust gegen Störungen, weisen zahlreiche teilchenartige Eigenschaften auf und werden daher auch als dissipative Solitonen bezeichnet. Die können stationär sein, propagieren aber in der überwiegenden Zahl aller Fälle. Die dissipativen Solitonen treten nicht nur allein auf, sondern zeigen ein komplexes Wechselwirkungsverhalten. So können die Strukturen aneinander streuen sowie "Moleküle" (2.g) und kompexere Überstrukturen bilden. Beispielsweise treten Netze (2.h) und Ketten (2.i) auf. Teilweise werden sogar Strukturen beobachtet, die Aggregatzuständen entsprechen, und mehrere "Phasen" können auf einem Grundgebiet koexistieren (2.j). Abb. 3.a und b zeigen die mittleren Stromdichteverteilungen von isolierten dissipativen Solitonen für unterschiedliche Systemparameter. Man erkennt, daß je nach Systemparametern sowohl ein monotoner Abfall zum homogenen Grundzustand (3.a) als auch ein oszillierendes Abklingen (3.b) beobachtet werden kann.
Abb. 3: a und b: Gemittelte Stromdichteverteilungen isolierter dissipativer Solitonen, c und d: Generation eines dissipativen Solitons Neben zahlreichen dynamischen Prozessen wie Streuung und Molekülbildung, in denen die dissipativen Solitonen ihre Form im wesentlichen wahren, existieren auch solche, bei denen die Strukturen als Ganzes generiert oder vernichtet werden. Einen typischen Generationsprozeß zeigt Abb. 4, in einen typischen Abstand von zwei dissipativen Solitonen entsteht eine dritte Struktur auf einer Zeitskala im Millisekundenbereich. Zur Erklärung der beschriebenen Phänomene werden in der Arbeitsgruppe verschiedene Ansätze verfolgt (siehe auch Abschnitt Theoretische Betrachtungen). Bei dem betrachteten planaren Gasentladungssystem handelt es sich primär um ein elekrisches Transportsystem, so daß momentan an einer Beschreibung in Drift-Diffusions-Approximation der Transportgleichungen gearbeitet wird. Unterstützend sind auch Monte-Carlo- und PIC (Particle-in-cell)-Simulationen geplant, um auch mikroskopische Prozesse auf sehr schneller Zeitskala zu verstehen. Parallel zu diesen Arbeiten ist es möglich, das System im einem phänomenologisch-synergetischen Zugang durch ein gekoppeltes Netzwerk von Ersatzschaltkreisen zu beschreiben, dessen beschreibende Gleichungen im kontinuierlichen Limes in Reaktions-Diffusions-Gleichungen überführt werden können. Viele der im Experiment beobachteten Phänomene existieren auch in anderen strukturbildenden Systemen aus den Bereichen nichtlineare Optik, granulare Medien, Hydrodynamik, chemische Systeme und elektrische Transportsysteme. Das Verständnis der der Strukturbildung zugrunde liegenden fundamentalen Mechanismen ist essentiell, um die Physik komplizierter Systeme verstehen zu können, welche z.B. in der Biologie untersucht werden. Es besteht die Hoffnung, daß die Klärung dieser Fragestellung an planaren Gasentladungssystemen helfen kann, neben neue Erkenntnissen im Bereich Gasentladungsphysik auch die Universalität der gefundenen Phänomene zu klären. Die folgende Liste beinhaltet einige ausgewählte Artikel zu den beschriebenen Phänomenen: Streifenmuster
Hexagone
Spiralen
Target-Muster
Dissipative Solitonen
Zurück zum Anfang Zur zweiten Seite Experimentelle UntersuchungenDie experimentelle Beherrschung des in Abb. 1 gezeigten planaren Gasentladungssystems erfordert gute Kenntnisse verschiedener Materialeigenschaften und -präparationstechniken. Eine generelle Forderung ist eine hohe räumliche Homogenität, die durch sorgfältige Überprüfung garantiert werden muß. Der Parameterraum ist hochdimensional, so können z.B. Gasdruck, Gassorte, Halbleitermaterial und -widerstand, äußere Spannung, Vorwiderstand, Temperatur und räumlich Abmessung der Entladungszelle variiert werden. Da die Stabilität verschiedener Entladungsstrukturen bei tiefen Temperaturen höher ist, werden zahlreiche Experimente bei tiefen Temperaturen um 100 K durchgeführt, was die Verwendung geeigneter Vakuumaufbauten verlangt (Abb. 4).
Die Beobachtung der Entladungsstrukturen erfolgt über die von der Entladung ausgesandten Leuchtdichtestruktur, über die direkt auf die mittlere Stromdichte im Entladungsgebiet zurückgeschlossen werden kann. Die Dynamik der Entladung spielt sich auf einer Reihe verschiedener Zeitskalen ab, die sich von einer Nanosekunden-Skala bis zu einer Sub-Sekunden-Skala erstrecken. Dementsprechend stehen verschiedene Kamera- und Aufnahmetechniken zur Verfügung, um diese Dynamik experimentellen Untersuchungen zugänglich zu machen. Neben normalen CCD-Videokameras für langsame Dynamiken verfügt die Gruppe über intensivierte Kameras mit mittelschneller Aufnahmerate (f = 3000 Hz) und großem Bildspeicher sowie über schnelle Streak-Kameras mit hoher Aufnahmerate. Für die Bearbeitung der aufgenommenen Daten steht eine selbst entwickelte, leistungsstarke Auswertungssoftware zur Verfügung. Besonders wichtig für den Vergleich mit theoretischen Überlegungen ist die Untersuchung der Existenzbereiche verschiedener Strukturen im Parameterraum des Entladungssystem und die Klassifikation der Übergänge zwischen verschiedenen Strukturen durch Änderung der Parameter nach unterschiedlichen Bifurkationstypen. Einen weiteren Interessensschwerpunkt bildet die Entstehung und Dynamik lokalisierter Strukturen (Abb. 2.f) aufgrund der zahlreichen teilchenhaften Eigenschaften dieser Strukturen. Es zeigt sich, daß die Dynamik und Wechselwirkung dissipativer Solitonen im experimentellen System von starken Fluktuationen überlagert ist. Dies macht es schwierig, auf elementarem Weg quantitative Aussagen über die Dynamik zu erhalten. Einen Ausweg aus diesem Problem bieten neu entwickelte Methoden der stochastischen Datenanalyse. Neben der Untersuchung der eigentlichen Strukturbildungsphänomenen spielt auch die Untersuchung grundlegender Eigenschaften der Gasentladung in planaren Systemen mit sehr geringen Entladungsabständen (z.B. die Messung von Paschenkurven, Kennlinien, zeitlichem Stromverlauf, Oberflächenladungen etc.) eine wichtige Rolle, insbesodere, um einen quantitativen Zusammenhang mit theoretischen Überlegungen herzustellen. Eine gute Übersicht über diese Thematik bieten die folgenden Artikel:
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